Donnerstag, 3. Juni 2010

Größte Sünde?

Für viele Umweltschützer ist sie die größte anzunehmende Sünde im Norden, für die Wirtschaft der größte Hoffnungsträger: die Küstenautobahn A 20.

Die Industrie- und Handelskammern und andere Wirtschaftsverbände, aber auch das Bundesverkehrsministerium setzen große Hoffnungen in den Bau der Autobahn, die den Ost-West-Verkehr vereinfachen und die Verkehrsknotenpunkte Hamburg und Bremen entlasten soll. Unter dem Motto "Küstenroute - verbindet mehr" haben die Industrie- und Handelskammern von Bremerhaven, Stade, Flensburg und Kiel jetzt in Glückstadt eine Werbekampagne mit einem neuen Logo gestartet, um den Bau des Projektes zu forcieren.
Dass vom Bund, Kammern und Kommunen für ein Infrastrukturprojekt geworben werden muss, verdeutlicht, wie umstritten es ist. Bürgerinitiativen und Umweltschützer kritisieren das Projekt als überflüssig und als schädlich für Umwelt und Bürger. Die neue Autobahn wird von ihnen als ein Projekt bezeichnet, das nur den Interessen der Wirtschaft diene und die Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene behindere. Sie argumentieren, dass ein Ausbau des Schienennetzes sinnvoller und dringender sei. Zum Vergleich: Derzeit werden weniger als 20 Prozent der Güter in Deutschland auf der Schiene transportiert, auf der Straße dagegen mehr als 70 Prozent aller Waren.
Der Parlamentarischen Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, Enak Ferlemann, kennt die Kritik. Dennoch meint er, dass es keine Alternative zu der Küstenautobahn gebe, trotz aller Einwände. Wer den Bedarf der Autobahn in Frage stelle, solle sich, so Ferlemann, einfach täglich den Verkehrsfunk anhören und in die kilometerlangen Staus einreihen. "Der Verkehr kollabiert bereits jetzt regelmäßig auf den deutschen Autobahnen, wir müssen die Infrastruktur in Norddeutschland ausbauen, um die Wirtschaft und unsere Häfen zu stärken und die Kommunen verkehrstechnisch zu entlasten", sagte Ferlemann bei seinem Besuch in Glückstadt.
Staatssekretär Enak Ferlemann hält die Küstenautobahn für alternativlos
Dass das Bundesministerium mit dem Forcieren der Küstenautobahnpläne einen gewissen Spagat eingehe und die Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene, den es propagiert, ad absurdum führen könnte, glaubt Ferlemann nicht. "Langfristig werden wir gar nicht darum herum kommen und müssen alles ausbauen, Schienenverkehrswege, Wasserstraßen und die Autobahnen, denn das Straßennetz kann die Anforderungen der Zukunft nicht allein bewältigen", so der CDU-Politiker.
Große Sorgen bereite ihm der Ausbau der Schienennetze. Eine Y-Trasse werde benötigt, um die überlasteten Schienenverkehrsknotenpunkte in Hamburg, Bremen und Harburg zu lösen. Wie teuer der Ausbau hierfür wird, lasse sich derzeit nicht abschätzen. "Wir wissen nur, dass bereits die Pläne für eine Y-Trasse aus dem Jahr 1999 ein Investitionsvolumen von 1,9 Milliarden hatten. Seitdem hat sich vieles in der Kostenplanung nach oben verändert", so Ferlemann, der anregte, auch privaten Bahnbetriebe stärker in einen möglichen Ausbau des Schienennetzes einzubinden, um Kräfte zu bündeln.
1,3 Milliarden Euro soll die A 20-Trasse auf niedersächsischer Seite kosten, weitere 1,9 Milliarden werden für den Anschluss in Schleswig-Holstein benötigt - inklusive dem neuen, fünf Kilometer langen Elbtunnel. Die Querung des Flusses stellt nach Ansicht aller den Dreh- und Angelpunkt des Projektes Küstenautobahn dar. Nur mit einem weiteren Tunnel lasse sich der Verkehrsinfarkt in Hamburg abwenden. Ferlemann sprach in diesem Zusammenhang von einem Jahrhundertprojekt, das zu bewältigen sei. Doch die Pläne des Ministeriums reichen noch weiter. "Ein Ausbau der bestehenden Straßen alleine reicht auf Dauer nicht aus. Wir brauchen langfristig sechsspurige Autobahnen, um das erwartete Verkehrsaufkommen bewältigen zu können", sagte Ferlemann.
Für Hamburg werde im Ministerium bereits durchgängig sogar an achtspurigen Autobahnen geplant. Nur so ließe sich der Waren und Dienstleistungsaustausch zwischen den Häfen und der transeuropäische Güterverkehr von West- nach Osteuropa und Skandinavien bewerkstelligen. "Dass wir dieses erst jetzt in Angriff nehmen hat auch damit zu tun, dass wir bei den Verkehrsströmen Jahrzehntelang vor allem in Nord-Süd-Kategorien gedacht haben. Das war unklug", so der Parlamentarische Staatssekretär.
Bis Ende des Jahres soll das Finanzierungsmodell stehen
Das Jahr 2010 sei nach Ansicht des Verkehrsministeriums für das gesamte Projekt entscheidend. Die Finanzierung der Autobahn müsse trotz des rigiden Sparkurses, den das Finanzministerium angekündigt hat, sichergestellt werden. Dass dies gelingen wird, davon ist Ferlemann überzeugt. Die Küstenautobahn samt Elbtunnel habe im Bundesverkehrswegeplan allerhöchste Priorität. Bis Ende des Jahres sollen Gutachter auch ein Finanzierungsmodell für den Elbtunnel erstellen. Quelle: Hamburger Abendblatt