Falsche Verkehrspolitik lässt die vorhandene Infrastruktur verfallen
Deutschlands Brücken sind noch maroder als befürchtet, schreibt der „Spiegel“ in seiner Online-Ausgabe. Er beruft sich dabei auf ein internes Papier der bundeseigenen Autobahngesellschaft, das der Redaktion vorliege. Demnach müssen 400 Autobahnbrücken dringend saniert werden, doppelt so viele wie bisher angenommen.
Die Folgen des Reparaturstaus lassen sich derzeit an der Talbrücke Rahmede beobachten. Sie sollte ausgebesserte werden, doch seit ein paar Tagen ist klar, es helfen nur noch Abriss und Neubau. Die Autobahn A 45 bleibt auf unbestimmte Zeit unterbrochen. Bereits zum Jahreswechsel klagte der Bürgermeister der anliegenden Stadt Lüdenscheid: "Zehntausende Fahrzeuge, die eigentlich an unserer Stadt vorbeirollen, quetschen sich nun durch unsere Straßen“.
Die Talbrücke Rahmede wird kein Einzelfall bleiben. Der „Spiegel“ zitiert als zentrale Aussage des internen Papiers der Autobahngesellschaft: „Sollten die notwendigen Erhaltungsmaßnahmen an den Tausenden Bauwerken nicht im erforderlichen Umfang und zeitnah umgesetzt werden, wird es in den kommenden Jahren zu erheblichen Verkehrseinschränkungen bis hin zu Sperrungen von Brückenbauwerken kommen.“
Als Konsequenz fordert die Autobahngesellschaft, eine „Umpriorisierung von Bedarfsplanprojekten zu den kritischen Bestandsbrücken“. Das bedeutet, die Sanierung der maroden Brücken und Autobahnen soll Vorrang bekommen vor den neuen Projekten, die in den Bedarfsplänen des Bundesverkehrswegeplans aufgelistet sind.
Diese Sicht entspricht den Forderungen des Dachverbandes „Keine A 39!“. Schon lange setzen sich die in ihm zusammengeschlossenen Bürgerinitiativen dafür ein, die bestehende Infrastruktur zu ertüchtigen, statt Mittel in fragwürdige Neubaustrecken zu stecken. So wird die Planung der A 39 vorangetrieben, obwohl die für sie veranschlagten Kosten explodiert sind und der Nutzen aufgrund des stagnierenden Umschlags des Hamburger Hafens immer weiter sinkt. Eine transparente Neuberechnung der Wirtschaftlichkeit verweigern die Behörden seit Jahren. Der BUND zählt die A 39 zu dem Dutzend überflüssiger und überteuerter Autobahnprojekte des Bundesverkehrswegeplans.
Im Wahlkampf haben die Grünen mit Blick auf den Klimaschutz ein Moratorium für noch nicht begonnene Neubauprojekte des Bundesverkehrswegeplans angemahnt. Der Alarmruf der Autobahngesellschaft unterstreicht die Richtigkeit dieser Forderung. Die planerischen, finanziellen und personellen Mittel müssen dringend auf die seit Jahrzehnten von Bund und Ländern vernachlässigte Sanierung der Verkehrswege konzentriert werden. Sonst droht die Infrastruktur zu verfallen.
Ein Moratorium würde die Gelegenheit schaffen, die Verkehrspolitik neu zu bewerten und sinnvoll zu gestalten. Die einzelnen Projekte des Bundesverkehrswegeplans sollten nach ökologischen, klimapolitischen und wirtschaftlichen Kriterien überprüft und neu priorisiert werden.
In der Vergangenheit haben die Bundesländer nach eigenem Gutdünken ihre jeweiligen Autobahnprojekte für den Bundesverkehrswegeplan angemeldet. Mit angenommenen Zeitgewinnen haben sie den Nutzen hochgerechnet, um Investitionsmittel vom Bund für die eigene Bauindustrie zu erhalten. Die erwarteten Kosten wurden stets so niedrig wie möglich angegeben, damit das eigene Vorhaben im Wettkampf der Landesprojekte bestehen konnte. Sanierung und Reparaturen waren dagegen weniger attraktiv für die Landeskassen. Mit der Gründung der Autobahngesellschaft sollte nicht zuletzt diese Fehlentwicklung gestoppt werden.
Der derzeit gültige Bundesverkehrswegeplan folgt aber immer noch der alten Logik. Es reicht nicht, den Plan als Ganzes neu zu bewerten, sondern angesichts knapper Ressourcen und klimapolitischer Erfordernisse müssen die einzelnen Projekte neu bewertet werden. Einer ernsthaften Überprüfung würden die Pläne für die A 39 nicht standhalten. Sie wäre vom Tisch, und mehr als 1,5 Milliarden Euro könnten für die notwendige Sanierung maroder Brücken eingesetzt werden.