Samstag, 10. November 2012

Nutzen-Kosten-Verhältnis

Im Rah­men der Bun­des­ver­kehrs­we­ge­pla­nung ist die Wirt­schaft­lich­keits­be­rech­nung, die sich im Nut­zen-​Kos­ten-​Ver­hält­nis (NKV) aus­drückt, das Haupt­kri­te­ri­um für oder ge­gen den Bau ei­nes Stra­ßen­bau­pro­jek­tes wie der ge­plan­ten Au­to­bahn A 39. Da­bei wer­den die ge­schätz­ten Bau­kos­ten dem ver­mu­te­ten ge­samt­wirt­schaft­li­chen Nut­zen ge­gen­über ge­stellt. Maß­nah­men, bei de­nen die be­rech­ne­ten Nut­zen die Kos­ten deut­lich über­stei­gen, al­so ein ho­hes Nut­zen-​Kos­ten-​Ver­hält­nis be­sit­zen, er­schei­nen wirt­schaft­lich sinn­voll und da­mit auch bau­wür­dig.

Um die be­grenz­ten Mit­tel für den Bau von Au­to­bah­nen mög­lichst ef­fek­tiv ein­zu­set­zen, wur­den – zu­min­dest in der Ver­gan­gen­heit – die Pro­jek­te über­wie­gend auf­grund ih­res je­wei­li­gen Nut­zen-​Kos­ten-​Ver­hält­nis­ses (NKV) in ei­ne der drei Ka­te­go­ri­en ein­ge­teilt: 1. Vor­dring­li­cher Be­darf, 2. Wei­te­rer Be­darf, 3. Kein Be­darf.

Im Bun­des­ver­kehrs­we­ge­plan 1992 hat­ten nur Pro­jek­te des Vor­dring­li­chen Be­darfs, al­so mit ei­nem NKV gr&Öuml;ßer als 3, ei­ne Chan­ce auf Rea­li­sie­rung. Beim Bun­des­ver­kehrs­we­ge­plan 2003 gibt es die Gren­ze „NKV gr&Öuml;ßer 3“nicht mehr. Es kön­nen nun auch Pro­jek­te in den Vor­dring­li­chen Be­darf ein­ge­stellt wer­den, wenn ei­ne her­aus­ra­gen­de raum­ord­ne­ri­sche Be­deu­tung des Pro­jekts fest­ge­stellt wur­de.

Das Be­rech­nungs­mo­dell zur Be­stim­mung des Nut­zen-​Kos­ten-​Ver­hält­nis­ses wird al­ler­dings sehr kon­tro­vers dis­ku­tiert, da die be­rück­sich­tig­ten Ka­te­go­ri­en von Nut­zen (Trans­port­kos­ten­sen­kung, Kos­ten der We­ge­er­hal­tung, Bei­trä­ge zur Si­cher­heit, Ver­bes­se­rung der Er­reich­bar­keit, re­gio­na­le Ef­fek­te, Um­wel­t­ef­fek­te, Hin­ter­land­an­bin­dung, in­du­zier­ter Ver­kehr) kaum ob­jek­tiv zu er­fas­sen und da­mit ge­gen die Kos­ten auf­zu­wie­gen sind. So wird bei der Be­rech­nung des „Er­reich­bar­keits­vor­teils“je­de an­ge­nom­me­ne Stun­de, die ein Ver­kehrs­teil­neh­mer durch ei­ne neue oder aus­ge­bau­te Stra­ße ein­spart, als ei­ne Kos­ten­sen­kung von 3,83 Eu­ro ge­rech­net. Wenn zum Bei­spiel 50 000 PKW pro Tag je­weils 20 Mi­nu­ten ein­spa­ren, er­gibt das theo­re­tisch ei­nen jähr­li­chen Nut­zen von 23,3 Mil­lio­nen Eu­ro oh­ne Be­rück­sich­ti­gung, ob die Ver­kehrs­teil­neh­mer Ge­schäfts­rei­sen­de, Trans­por­teu­re oder Frei­zeit-​ und Ur­laubs­fah­rer sind. Al­les in al­lem ha­ben die Wirt­schafts­theo­re­ti­ker hier ei­ne frag­wür­di­ge Be­rech­nungs­me­tho­de ein­ge­führt. So fin­det sich im Be­rech­nungs­mo­dell bei­spiels­wei­se auch das er­leich­ter­te über­que­ren von Durch­gangs­stra­ßen für Fuß­gän­ger, er­rech­net mit Hil­fe des „Stun­den­lohns“von 5,47 Eu­ro.

Die bei­den ge­plan­ten Bau­ab­schnit­te der A 39 „Uel­zen-​Wolfs­burg“und „Lü­ne­burg-​Uel­zen“wer­den im Bun­des­ver­kehrs­we­ge­plan 2003 vom Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Ver­kehr, Bau und Stadt­ent­wick­lung im Vor­dring­li­chen Be­darf ge­lis­tet und mit In­ves­ti­ti­ons­kos­ten von 437 Mil­lio­nen Eu­ro an­ge­ge­ben. Die­sen Kos­ten soll­te bei ei­nem NKV von 3,4 ein Nut­zen von ca. 1,5 Mil­li­ar­den Eu­ro ge­gen­über­ste­hen. Al­ler­dings muss­te über das NKV der A 39 zu­nächst spe­ku­liert wer­den, da die­ses nicht spe­zi­fi­ziert, son­dern nur „im Pa­ket H-​Span­ge'', al­so mit der A 14 und der bei­de Au­to­bah­nen ver­bin­den­den Quer­span­ge durch die B 190n mit 3,4 aus­ge­wie­sen wur­de. Das Mi­nis­te­ri­um für Bau und Ver­kehr des Lan­des Sach­sen-​An­halt hat je­doch im Jahr 2006 die NKV „an­tei­lig“of­fen­ge­legt (A 14 = 4,6 und B 190n = 3,3). Das NKV der A 39 muss­te dem­nach deut­lich klei­ner aus­fal­len.

Die Bür­ger­in­itia­ti­ve „Ak­ti­on Le­bens­berg“er­mit­tel­te dar­auf­hin in ei­ner nach­voll­zieh­ba­ren Mo­dell­rech­nung das Nut­zen-​Kos­ten-​Ver­hält­nis der A 39 mit le­dig­lich 1,87. Da bei ei­ner Ein­zel­be­trach­tung die A 39 mit die­sem NKV ei­gent­lich hät­te aus dem Vor­dring­li­chen Be­darf ent­fal­len müs­sen, dräng­te sich der Ver­dacht auf, dass hier schön­ge­rech­net wur­de. Es er­gab sich die Fra­ge, ob das ei­gent­lich chan­cen­lo­se Pro­jekt A 39 nur im Wind­schat­ten der A 14 be­ste­hen konn­te.

Um die­se Fra­ge zu klä­ren, hat­te die Frak­ti­on Bünd­nis­90/Die Grü­nen im Sep­tem­ber 2006 ei­ne Klei­ne An­fra­ge an den Bun­des­tag ge­rich­tet, in de­ren Ant­wort wie­der nur der NKV für das Ge­samt­pa­ket (A 39, A 14, B 190n) mit­ge­teilt wur­de, al­ler­dings ver­bun­den mit dem Hin­weis, das Land Nie­der­sach­sen wer­de nach Vor­lie­gen der lan­des­pla­ne­ri­schen Fest­stel­lung ein NKV für das Ein­zel­pro­jekt A 39 er­mit­teln.

Dies ge­schah schließ­lich im No­vem­ber 2008. Aus der Ant­wort der nie­der­säch­si­schen Lan­des­re­gie­rung auf ei­ne An­fra­ge der Lü­ne­bur­ger Land­tags­ab­ge­ord­ne­ten Mi­ri­am Staud­te (Grü­ne) geht her­vor, dass im Ver­gleich der Nut­zen-​Kos­ten-​Ver­hält­nis­se die Au­to­bahn 39 deut­lich hin­ter der A 14 und der Quer­ver­bin­dung B 190n hin­ter­her­hinkt. Das Land be­ruft sich in sei­ner Ant­wort auf ak­tu­el­le Be­rech­nun­gen des Bun­des­ver­kehrs­mi­nis­te­ri­ums. Dem­nach er­reicht die Stre­cke der ge­plan­ten A 39 zwi­schen Lü­ne­burg und Wolfs­burg ei­nen Wert von le­dig­lich 2,8.

Zu­frie­den war die Land­tags­ab­ge­ord­ne­te mit der Ant­wort der Lan­des­re­gie­rung in­des nicht. „Ge­fragt hat­ten wir nach ei­nem Wert für die A 39, doch der wird wei­ter schön­ge­rech­net'', wet­ter­te Staud­te sei­ner­zeit. Der Grund: In den Wert von 2,8 floss das NKV für den west­li­chen Teil der B 190n mit ein. „Doch selbst so er­füllt die A 39 al­lein nicht die Min­dest­vor­aus­set­zun­gen für die Auf­nah­me in den Vor­dring­li­chen Be­darf des Bun­des­ver­kehrs­we­ge­plans.“Staud­tes är­ger war ver­ständ­lich. Denn die Ant­wort der Lan­des­re­gie­rung ent­hielt ein Ein­zel-​NKV für den öst­li­chen Teil der B190n. Auch das lag mit 3,5 deut­lich über dem von A 39 und west­li­chem Ab­schnitt der Quer­span­ge. Zu­dem nähr­te die­se Pra­xis Staud­tes Ver­dacht, dass mit der Bun­des­stra­ße das Au­to­bahn-​NKV an­ge­ho­ben wer­den soll­te.

Die Zah­len des Er­geb­nis­be­richts zum NKV der A 39 sind teil­wei­se in sich, aber auch im Ver­gleich mit den Zah­len der Un­ter­su­chung für den Bun­des­ver­kehrs­we­ge­plan 2003 nicht plau­si­bel. So er­ge­ben sich zum Bei­spiel aus dem Ver­gleich der Kos­ten pro Ki­lo­me­ter zwi­schen A 14 und A 39 ei­ner­seits und der Kos­ten­stei­ge­run­gen von A 14 und A 39 an­de­rer­seits im Ver­gleich zu 2003 nicht nach­voll­zieh­ba­re Un­ter­schie­de. Auch der An­nui­tä­ten­fak­tor ist zu nied­rig an­ge­setzt und weicht von dem von 2003 deut­lich ab. Dar­über hin­aus bleibt die Zu­sam­men­set­zung der „sons­ti­gen Kos­ten“un­klar und ein­ge­rech­ne­te Wer­te für Kos­ten und Nut­zen der Teil­pro­jek­te B 189 und B 71 sind nicht auf­ge­führt. Ins­be­son­de­re der Ver­such ei­ner Er­mitt­lung durch Dif­fe­renz­bil­dung führt hier zu nicht nach­voll­zieh­ba­ren Zah­len. Es ist au­ßer­dem nicht er­sicht­lich, wie der im Er­geb­nis­be­richt für den NKV der A 39 an­ge­ge­be­ne Preis­in­dex für die Nut­zen­po­si­tio­nen er­mit­telt und an­ge­wandt wur­de. Bei den Nut­zen­po­si­tio­nen der A 39 er­scheint dar­über hin­aus der in­du­zier­te Ver­kehr als zu ge­ring, die Um­wel­t­ef­fek­te da­ge­gen als zu hoch an­ge­setzt. Und schließ­lich ist die Stei­ge­rung des Nut­zens der A 14 im Ver­gleich zu 2003 nicht nach­voll­zieh­bar.

Aus dem Bun­des­ver­kehrs­mi­nis­te­ri­um gab es auf An­fra­ge kei­ne In­for­ma­tio­nen, die zur Klä­rung die­ser Fra­gen bei­tra­gen konn­ten. Wir konn­ten al­so nur mit den uns vor­lie­gen­den Da­ten des Er­geb­nis­be­richts ar­bei­ten und kom­men zu dem Er­geb­nis, dass das im Er­geb­nis­be­richt ge­nann­te NKV für die A 39 von 2,78 zu hoch an­ge­setzt ist. Rea­lis­ti­scher er­scheint ein NKV von deut­lich un­ter 2, wahr­schein­lich na­he 1 oder so­gar un­ter 1.