Montag, 13. Oktober 2014

Eine teure Wunschliste

Mit ihrer aktuellen Wunschliste an die Politik, die sie „Verkehrskonzept“ nennen, beweisen die Unterzeichner, dass ihnen Augenmaß und Interesse an gesamtgesellschaftlichen Zusammenhängen fehlen. Es handelt sich um ein Papier, in dem sechs Unternehmensverbände, darunter zwei Bauverbände, die Bundesregierung auffordern, möglichst viel zu bauen. Sie wünschen sich neue Autobahnen, Schienenwege und den Ausbau der Wasserstraßen.

Natürlich steht es jedem Interessensverband frei, eine Regierung zu bitten, die eigenen Mitglieder mit möglichst vielen Aufträgen zu versehen. Aber es grenzt an Täuschung der Öffentlichkeit, eine solche Wunschliste als Konzept zum Wohle Norddeutschlands zu präsentieren.

Die deutsche Infrastruktur hat Nachholbedarf, daran besteht kein Zweifel. Aber anders als in dem Papier unterstellt, ist das Hauptproblem der marode Zustand bestehender Verkehrswege, nicht der Mangel an zusätzlichen Verkehrswegen. Mit gutem Grund verlangen viele Politiker und Verkehrswissenschaftler, endlich den Grundsatz „Erhalt vor Neubau“ umzusetzen. Nur so können bei knappen Kassen Steuergelder zum Wohle der gesamten Gesellschaft am sinnvollsten eingesetzt werden, nur so bleibt die bekanntermaßen gute deutsche Infrastruktur leistungsfähig. Davon steht in dem Papier kein Wort. Die Verkehrswege vor allem durch Reparaturen und punktuellen Ausbau in Schuss zu halten ist natürlich nicht im Sinne der Unternehmen. Sie verdienen am Neubau mehr.

Um ihre Wünsche den Politikern plausibel zu machen, stellen die Unternehmensverbände unbewiesene Zusammenhänge her, stellen Wünsche als Tatsachen dar. Der Dachverband „Keine A 39“ beschränkt sich hier auf drei Beispiele aus dem Abschnitt zur A 39, der in dem Papier eineinhalb Seiten einnimmt. So heißt es, dass die Wirtschaftszentren Wolfsburg, Braunschweig und Lüneburg nur durch die A39 am wirtschaftlichen Potenzial angrenzender Regionen teilhaben könnten. Tatsache ist aber, dass die Großregion Braunschweig/Wolfsburg durch die nahen Autobahnen A 2 und A 7 nach allen Himmelsrichtungen bereits gut angebunden ist. Die Stadt Lüneburg ist mit der für sie wichtigen Metropole Hamburg ebenfalls durch eine Autobahn verknüpft. Studien zeigen seit Jahren immer wieder: Im engen deutschen Verkehrsnetz generieren neue Autobahnen kein Wirtschaftswachstum mehr.

Weiter argumentieren die Unternehmensverbände, dass die Ortschaften an der B 4 durch die A 39 spürbar entlastet würden. Aber der Verkehr auf dieser Bundesstraße ist überwiegend regionaler Verkehr. Die Autobahn würde zwar das Anschwellen des Verkehrs bremsen, aber die Ortschaften nicht dauerhaft entlasten. Die öffentlich zugänglichen Prognosen der Lüneburger Straßenbaubehörde, die für die Planung der Autobahn zuständig ist, zeigen: Spätestens im Jahr 2025 hätte der Verkehr auf der B 4, auch wenn die Autobahn bis dahin realisiert worden sein sollte, die Stärke wieder erreicht, die er bereits im Jahr 2005 hatte. Entlastung kann den Anwohnern der B 4 daher nur der dreispurige Ausbau der Straße mit Ortsumgehungen bringen, wie ihn die niedersächsische Koalition als Alternative zur A 39 beim Bundesverkehrsministerium angemeldet hat. Er würde den Steuerzahler nur ein Viertel des Betrages kosten, den die Autobahn verschlingen würde. Zu diesem Projekt aber findet sich kein Wort in dem Papier der Wirtschaftsverbände. Schließlich würde der Ausbau der B 4 den Unternehmen nur ein Viertel des Auftragsvolumens des Autobahnneubaus bescheren.

Fast schon kurios mutet die Ahnungslosigkeit an, die das Papier unter dem Punkt „Planungsstand“ offenbart. Demnach ist die Stadt Wolfenbüttel für die Planung der Autobahn zuständig; sie werde die Unterlagen im September der Planfeststellungsbehörde zuleiten. Den Autoren des Konzepts ist offenbar entgangen, dass dies lediglich für den Abschnitt 7 der Autobahn gilt und dass für fünf Abschnitte noch kein Planfeststellungsverfahren in Sicht ist.

Das Konzept der Unternehmensverbände ist vor allem im eigenen Interesse und ohne Rücksicht auf Umwelt und gesamtgesellschaftliche Zusammenhänge geschrieben. Das zeigt sich am deutlichsten unter dem Stichpunkt Finanzierung. Die Verbände plädieren dafür, die Einnahmen aus Mineralölsteuer und Maut für den Neubau einzusetzen. Kein Wort davon, dass das Geld für den Erhalt der Verkehrsinfrastruktur dringend gebraucht wird. Die Unternehmen plädieren – angeblich mit Blick auf die Staatsverschuldung – für Privat-Public-Partnership, also für die private Finanzierung öffentlicher Projekte, die der Staat dann über Jahrzehnte bei den Investoren abstottert. Der Bundesrechnungshof hat allerdings an die Politiker appelliert, von solchen Modellen die Finger zu lassen, weil sie den Staat teurer kommen, als der Bau in Eigenregie. Wer für solche Modelle wirbt, wirbt dafür, die nachfolgenden Generationen mit hohen Kosten zu belasten. Er ignoriert den demografischen Wandel, der dazu verpflichten sollte, schon heute verantwortungsvoll für jene Zeiten zu planen, in denen die Bevölkerungszahl sinkt. Quelle: Dachverband KEINE A39

Weitere Informationen:
Die Wunschliste der Unternehmer.pdf

Lärm-Schock für die Anwohner

Was viele befürchtet hatten, lässt sich jetzt in Dokumenten und auf Karten genau studieren: Der Abschnitt 7 der geplanten Autobahn A 39 zerschneidet nicht nur den Raum zwischen Wolfsburg und Ehra. Sondern er bringt für Mensch und Natur weitergehende unzumutbare Belastungen. Der Dachverband „Keine A 39“ sieht sich nach den beiden Informationsveranstaltungen zum Planfeststellungsverfahren des Abschnitts 7 in Weyhausen und Lessien in seiner grundsätzlichen Ablehnung der Autobahn bestätigt.

Bei der Präsentation der Pläne durch die Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr Wolfenbüttel spielten die Belange der Betroffenen und die Folgen für die Umwelt so gut wie keine Rolle. Mit Entsetzen nahmen zahlreiche Anwohner zur Kenntnis, dass aus Kostengründen sogar ein sinnvoller Lärmschutz unterbleibt. So bekommt Lessien weder eine Lärmschutzmauer noch Flüsterasphalt. Die Anwohner, die im Schallbereich der A 39 leben müssten, hätten nur ein Anrecht auf schallisolierte Fenster und Belüftungsanlagen, so Michael Peuke von der Planungsbehörde.

Hart träfe es auch die Ortschaft Tappenbeck. Die A 39 verläuft nach den Plänen der Straßenbaubehörde in nur 100 Metern Abstand zur Wohnbebauung. Der Straßendamm und die Lärmschutzanlagen würden den Ort mit einer bis zu 11 Meter hohen Mauer nach Osten abschließen. Auch der Sportplatz würde der Autobahn zum Opfer fallen. Auf Nachfrage bestätigte Behördenleiter Bernd Mühlnickel, dass es nach jetzigem Stand für Tappenbeck keine ausreichende Entschädigung geben werde, um neue Sportanlagen zu errichten.

Angesichts der zahlreichen Menschen, die so viel zu verlieren haben, ist es nicht nachzuvollziehen, mit welcher Überheblichkeit der Behördenvertreter im Zuge der Präsentation auch eine mögliche Alternative zur Autobahn vom Tisch wischte. Der alternative Ausbau der B4 mit Ortsumgehungen, den die niedersächsische Landesregierung beim Bundesverkehrsministerium angemeldet hat, ist ihm keine Debatte wert.

Käme die Autobahn, würde die Landschaft der Region ihren Charakter einbüßen. Pferdebesitzer werden ihre Wiesen verlieren. Landwirte müssen mit Enteignungen rechen. Verblüfft stellte ein Landwirt bei der Veranstaltung in Weyhausen fest, dass die Planungsunterlagen Ausgleichsflächen auf seinem Grund- und Boden vorsehen, den er dann nicht mehr bewirtschaften könnte. Das ist nur ein Beispiel dafür, wie wichtig es ist, dass sich die Anwohner nun die Pläne genau ansehen. So fehlt etwa ein gesamtes Wohngebiet in Tappenbeck in den Unterlagen; es wurde, wie auf Nachfrage zugegeben wurde, schlicht vergessen.

Vom 23. Oktober bis 5. Dezember liegen die Pläne in den Samtgemeinden Brome, Boldecker Land, Wesendorf, der Stadt Wolfsburg und der Gemeinde Sassendorf aus. Jeder Bürger kann und sollte seine Einwendungen gegen die geplante Autobahn zu Papier bringen. Der Dachverband „Keine A 39“ und die örtlichen Bürgerinitiativen unterstützen die Betroffenen bei der Wahrnehmung ihrer berechtigten Interessen, der Schutz- und Klagefonds lotet mit dem erfahrenen Anwalt Nebelsieck die juristischen Möglichkeiten aus. Wichtig ist, dass sich möglichst viele Bürger für ihre Interessen einsetzen und Einwendungen schreiben. Einwendungen die jetzt nicht fristgerecht erhoben werden, werden später nicht berücksichtigt, auch dann nicht, wenn die Autobahnpläne vor Gericht stehen.

Dieser Aufwand hätte den Bürgern leicht erspart werden können. Denn es ist unwahrscheinlich, dass die Autobahn je gebaut werden wird. Die Bundesregierung arbeitet an einem neuen Bundesverkehrswegplan. Dafür hat sie das Motto „Erhalt vor Neubau“ ausgegeben; sie setzt zudem auf eine strikte Kostenorientierung. Die A 39 mit einem Kosten-Nutzen-Verhältnis, das zu den schlechtesten aller Neubauprojekte zählt, hat da kaum eine Chance. Der Dachverband „Keine A 39“ fordert daher erneut, die Planung dieser Autobahn so lange auszusetzen, bis der alternative Ausbau der B 4 geprüft und der neue Verkehrswegeplan erstellt wurde.

Als perspektivlose Fortsetzung der Planung eines „Nonsens-Projekts“ bezeichnet auch der Landesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (LBU) die Einleitung des Planfeststellungsverfahrens nun auch für den südlichen Abschnitt (zwischen Wolfsburg und Ehra) der geplanten Autobahn A 39. „Es gibt ja immer noch mehr Anhaltspunkte und Argumente dafür, dass die nicht finanzierbare A 39 mit ihrem schlechten Nutzen-Kosten-Verhältnis niemals gebaut wird“, so LBU-Regionalvertreter Eckehard Niemann, „trotzdem wollen entscheidungsscheue Politiker die teure und unsinnige Schubladen-Planung aller 7 Abschnitte der A 39 wohl doch noch bis zum Ende durchziehen.“

Die Gegner der A 39 hätten im - bereits laufenden - Planfeststellungsverfahren für den nördlichen A 39-Abschnitt (Lüneburg) bereits vor einem Jahr zahlreiche „K.O.-Einwände“ eingebracht, die spätestens bei einer Klage parallel auch für alle anderen Planungsabschnitte gelten würden und somit die A 39 insgesamt zu Fall bringen würden. Im nun beginnenden Planfeststellungsverfahren für den südlichen Abschnitt würden noch viele zusätzliche Einwendungen der Gemeinden und der auch dort sehr starken Bürgerbewegungen gegen die A 39 hinzukommen.
Quelle: Dachverband KEINE A39 und LBU

Freitag, 10. Oktober 2014

Volle Kraft zurück

Ein zartes Pflänzchen namens Einsicht ist geknickt. Ein Spross namens Vernunft ist zertrampelt. Alles wie immer. Statt konsequent am vernünftigen Nein zur A 39 festzuhalten, sah sich die Bad Bevenser CDU veranlasst, den drei Jahre alten Ratsbeschluss der Stadt anzugreifen und zu kippen. Ein Kommentar.
Mit aufheulendem Motor und ohne rechts und links zu schauen ist die Bevenser CDU vom rechten Weg abgekommen und zieht – auch noch ohne zu lenken – eine schnurgerade Furche der Verwüstung durch den Landkreis Uelzen. Im unmotorisierten Beiwagen die örtlichen Sozialdemokraten, auf dem Sozius ausgerechnet die Rentnerinnen- und Rentnerpartei (RRP), für die die A 39 eine ähnliche Bedeutung haben dürfte wie der Beschluss zum Bau der Elbphilharmonie für Luciano Pavarotti.

Das Verhalten der SPD nach Aufkündigung des Ratsbeschlusses gegen die A 39 durch die Christdemokraten hat die bisherige Mehrheitsgruppe im Stadtrat unmöglich und die Gruppe aus SPD, WBB und Grünen zerbersten lassen. Ortsbürgermeister Martin Feller (Grüne) ist geschwächt, und ob die Gruppe aus SPD, WBB, Grünen und Keine-A39 in der Samtgemeinde Bevensen-Ebstorf noch lange hält, ist derzeit offen.

Viel Bruch also, den die CDU da in Kauf genommen hat. Und das ist nur der politische Schaden auf provinzieller Ebene. Gerade hier und gerade jetzt hätte von der CDU ein Impuls ins ganze Land ausgehen können, frei nach dem Motto: „Wir haben verstanden“. Haben sie aber nicht. Der Impuls unterblieb. Der übliche Reflex kam.

Doch selbst wenn die Mär stimmen würde, nach der immer mehr Brücken, Straßen, Autos und Häfen die Wirtschaft ankurbeln – auf lange Sicht verschlechtert es die Lebensumstände künftiger Generationen, und zwar so sehr, dass ihnen irgendwann auch der stärkste Wirtschaftsboom keine Freude mehr bereiten wird.

Die Veränderungen sind bereits spürbar. Forscher wie Hans Joachim Schellnhuber, Direktor des Potsdamer Instituts für Klimaforschung, werten die häufiger auftretenden Wetterextreme, abschmelzenden Gletscher und den Anstieg des Meeresspiegels als „unübersehbare Menetekel“. Schellnhuber sagt: „Was hier passiert, trifft unsere Kinder.“ US-Präsident Barack Obama hat sich auf dem kürzlich in New York abgehaltenen Klimagipfel ähnlich geäußert: „Wir sind die erste Generation, die den Klimawandel spürt“, sagte er. „Und die letzte, die etwas dagegen tun kann.“

Das alles ficht die CDU natürlich nicht an – die in Berlin nicht und schon gar nicht die in Bad Bevensen. „Warum sollen ausgerechnet wir mit der Rettung der Welt beginnen?“, mag man sich im Heide-Städtchen denken. „Zuallererst“, und das heißt für die CDU eigentlich: ausschließlich, „brauchen wir Wachstum und Arbeitsplätze. Der Obama tut ja auch nichts.“ Klimaschutz gern, so denken sich die angeblich christlichen Demokraten vermutlich, so lange es ums Wirtschaftsklima geht.

Dabei wissen wir längst, wie Wirtschaftswachstum und Klimaschutz zu vereinen wären: durch Investitionen in erneuerbare Energien, ressourcensparende Techniken, Rechtssicherheit. Aber statt die schönen Erkenntnisse in die Praxis umzusetzen, bauen wir weiter schmutzige Brücken, Straßen, Autos und Häfen. Das zu ändern, ist Sache der Politik. Es wäre höchste Zeit, dass Regierungsvertreter über grünes Wachstum reden statt über die althergebrachten Konjunkturmaßnahmen. In Berlin. Aber auch in Bad Bevensen. Quelle: Andreas Conradt; einzelne Passagen aus Die Zeit