Mittwoch, 22. Februar 2012

König ohne Reich

Rotwild leidet wie kaum eine andere Tierart unter Lebensraumverlust und Zerschneidung seiner Wanderkorridore. Ein Problem, das jetzt Thema ist bei einer Informationsveranstaltung im Ostpreußischen Landesmuseum.
Opa Werner hasst Bundesstraßen. Daran lässt das Bewegungsprofil des Rothirsches keinen Zweifel. Als einer von 22 Hirschen ist er im Rahmen eines niedersächsischen Forschungsprojektes als Sechsjähriger im Nachbarlandkreis Uelzen 2007 besendert worden - und hat danach 15 Monate lang Daten geliefert über das Wanderverhalten des letzten Großsäugetieres Deutschlands. Die Ergebnisse beweisen, was in der Region vor dem Hintergrund der geplanten Autobahn 39 aktuell immer wieder diskutiert wird: Rotwild leidet wie kaum eine andere Tierart unter Lebensraumverlust und Zerschneidung seiner Wanderkorridore. Ein Problem, das jetzt Thema ist bei einer Informationsveranstaltung im Ostpreußischen Landesmuseum. In Deutschland leben etwa 180 000 Stück Rotwild (Deutsche Wildtier Stiftung), verteilt auf 140 voneinander getrennte Gebiete. Im Kreis Lüneburg gibt es insgesamt drei Rotwildgebiete. "In der Göhrde, in Amt Neuhaus und im Süsing", sagt der Vorsitzende der Lüneburger Jägerschaft Torsten Broder und betont: "Zum Erhalt der genetischen Vielfalt ist es unverzichtbar, dass sich die Populationen untereinander austauschen können." Wie weit die Hirsche aber tatsächlich wandern und welchen Einfluss Straßen oder Flüsse haben, hat Biologin Reinhild Gräber im Rahmen des Besenderungsprojektes am Institut für Wildtierforschung in Hannover erforscht. Auch, um dem Landesamt für Straßenbau und Verkehr bei der Planung der A 39 Entscheidungshilfen an die Hand zu geben für die Einrichtung von Wildbrücken.
Denn fest steht: "Die A 39 teilt das Hauptvorkommensgebiet des Rotwildes in Niedersachsen in zwei Hälften", sagt Gräber. Zwar sollen Wildquerungshilfen gebaut werden, doch im Gegensatz zu Reh- oder Damwild "wird das Rotwild sich schwerer tun, die Brücken anzunehmen", fürchtet Gräber. Die Ergebnisse ihres Forschungsprojektes, finanziert aus Jagdabgabemitteln des Landes, zeigen deutlich: "Obwohl individuelle Unterschiede zwischen den einzelnen Hirschen bestehen, werden stark befahrene Bundesstraßen gemieden."

Opa Werner ist dafür das beste Beispiel. In den 15 Monaten Sendezeit hat der Rothirsch zwar direkt an den Bundesstraßen 4 und 191 gelebt, sie aber nicht ein einziges Mal überquert. Flüsse hingegen überwinden Rothirsche offensichtlich relativ problemlos. So hat der besenderte Hirsch 1522 auf dem Weg zu seinem Brunftplatz den Elbe-Seitenkanal mindestens viermal gequert, sein Artgenosse Claus bei seiner Wanderung nach Osten sogar die Elbe durchschwommen.

Bis zu 100 Kilometer weit sind die Telemetrie-Hirsche gewandert und haben damit den Beweis geliefert, "wie wichtig es ist, dem Rotwild großräumige Wanderungsmöglichkeiten zu ermöglichen", sagt Biologin Reinhild Gräber.
Doch das Rotwild ist nicht überall gern gesehen. Mit der zunehmenden Intensivierung der Landnutzung, der Zersiedelung der Landschaft und dem zunehmenden Jagddruck haben sich die ursprünglichen Bewohner halboffener Landschaften in die Wälder zurückgezogen, sorgen dort für Verbiss- und Schälschäden. In acht von 16 Bundesländern wird das Rotwildvorkommen heute gesetzlich geregelt, muss jedes Tier, das außerhalb der amtlich festgesetzten Rotwildgebiete auftritt, per Gesetz erlegt werden. In Niedersachsen gibt es eine solche Regelung nicht: Das Rotwild kann wandern, wohin es will - zumindest theoretisch.
Unter dem Titel "Ein König ohne Reich" lädt das Ostpreußische Landesmuseum zum Infoabend über Rotwild ein, für Freitag, 24. Februar, 19 Uhr, im Museum, Ritterstraße 10, Lüneburg. Dr. Andreas Kinser, Deutsche Wildtierstiftung, spricht über die Situation des Rotwilds in Deutschland. Torsten Broder, Vorsitzender der Jägerschaft, konzentriert sich auf den Kreis Lüneburg. Andreas David, Buchautor und Wildbiologe, geht ein auf Winterstrategien und Folgerungen für die Jagd. Revierinhaber Peter Burkhardt referiert über "Reviere rotwildgerecht gestalten", Dr. Christoph Hinkelmann vom Museum anschließend über Rotwildexponate. Eintritt: 4 Euro. Quelle: Landeszeitung