Immer öfter und immer eindringlicher weisen Wissenschaftler auf die dramatischen Folgen politischer Ignoranz gegenüber dem Klimawandel hin. Doch das hält Politiker/-innen nicht auf. Wie gebannt starren sie auf die angeblichen Segnungen zum Beispiel neuer Autobahnen. Ein Kommentar von Andreas Conradt
Seit geraumer Zeit veröffentlicht der Weltklimarat (IPCC) mit schöner Regelmäßigkeit und jeweils im Abstand von mehreren Jahren immer drastischere Daten zum Stand der Erderwärmung. Doch das allein reicht nicht mehr, meint Professor Ottmar Edenhofer, einer der Ko-Vorsitzenden des Rats.
„Wir haben noch eine Wahl zwischen einer Erwärmung um zwei oder um vier Grad – je nachdem, ob wir gute oder schlechte Klimapolitik machen. Es gibt ein Zeitfenster von zwei bis drei Jahrzehnten. Danach kann man nur noch wenig tun.“ Und Rajendra Pachauri, Chef des IPCC, ergänzt: „Wir müssen uns so schnell wie möglich in Bewegung setzen. Die Kosten des Nichthandelns werden entsetzlich viel höher sein als die Kosten des Handelns.“
Es ist schon beschämend, dass trotz dieser eindringlichen Worte kaum etwas passiert und beispielsweise der CO2-Ausstoß – auch in Deutschland – eher zu- als abnimmt. Eine nachhaltige Politik eingedenk künftiger Generationen müsste mutiger und, ja, auch unpopulärer sein.
Nötig wäre eine drastische Reduzierung der Kohleverstromung und ein praktisch emissionsfreier Verkehrssektor. Von beidem ist Deutschland, sind Europa und die Welt Lichtjahre entfernt. Und es darf bezweifelt werden, dass es überhaupt möglich ist, den riesigen Verbrauch an fossilen Energien komplett umzustellen auf erneuerbare. Politiker aller Parteien und egal, ob auf internationaler Ebene, ob in Brüssel, Berlin, Hannover oder in der Heide, müssten jetzt sämtliche alten Denkmuster über Bord werfen und alles zukünftige Tun vor dem Hintergrund des bereits in Gang befindlichen Klimawandels betrachten. „Das Problem muss auch auf nationaler und regionaler Ebene angegangen werden“, sagt dazu Prof. Edenhofer. „Eine Frage ist etwa auch die der Stadtplanung.“
Was hier in den nüchternen Worten der Wissenschaft daherkommt, bedeutet nichts weniger als die Abkehr von Lebensgewohnheiten – auch und gerade von solchen, die Bequemlichkeit bedeuten. Wenn auf das Verbrennen von fossilen Ressourcen und zudem auf die Atomkraft verzichtet werden muss, dann wird auch der Energieverbrauch jedes einzelnen, werden Flugreisen und Autofahrten, Massenkonsum und exotische Lebensmittel weniger werden müssen.
Wer solcherlei Verzicht – und ohne den wird es nicht gehen – heute anmahnt, erntet Empörung und Ablehnung. Auf Wiederwahl braucht er dann nicht mehr zu hoffen. Und also wird geschwiegen und den Wählerinnen und Wählern lieber weiter das Märchen vom ewigen Wachstum und stetig steigenden Wohlstand erzählt. Das möchte das Volk hören, nicht die unschöne Wahrheit, und „Wohlstand“, wohlgemerkt, bemisst sich in „Plasmafernseher pro Quadratmeter“ – nicht in lebenswerter Umwelt. Was ist schon ein Sommertag an einem plätschernden, glasklaren Bach gegen „Bauer sucht Frau“ auf einem Flatscreen?
Mutig wäre, wer diesen Teufelskreis durchbricht, auf seine Wiederwahl pfeift und dem Volk reinen Wein einschenkt. Wer offen und ehrlich sagt, dass es ein „Weiter so!“ nicht mehr geben kann, dass wir ein ganz neues gesellschaftliches Denken brauchen. Weg vom „Ich habe, also bin ich!“ hin zu einer sozialeren, ökologischen und am Gemeinwohl orientierten Marktwirtschaft.
Wer ein solches neues Modell nicht denken will und stattdessen eine Autobahn fordert, die nicht Probleme reduziert, sondern zusätzlich generiert, macht sich schuldig und versündigt sich an zukünftigen Generationen. Quelle: Andreas Conradt