Ein Leserbrief von Borvin Wulf zur Wochenrevue der Allgemeinen Zeitung. Tenor: Politiker werden - nach Ausscheiden aus dem Amt - oftmals vom Saulus zum Paulus.
Es ist immer wieder erstaunlich, wie manche Politiker und Wirtschaftsbosse, wenn sie aus Altersgründen aus der aktiven Politik oder Wirtschaft ausscheiden, vom "Saulus" zum "Paulus" werden. Und auf einmal entdecken sie auch noch die Notwendigkeit von mehr Bürgerbeteiligung. Ich greife hier nur mal zwei dieser Figuren heraus: Edzard Reuten, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Daimler Benz AG, einer der mächtigsten Industriekapitäne Deutschlands und in der Wolle durch und durch gefärbter Vertreter der kapitalistischen Ausbeuterklasse, den reale soziale und Arbeitnehmer-Mitbestimmungsinteressen jahrelang nicht die Bohne interessiert haben, reiht sich zur Zeit ein in das nach Zehntausenden zählende Heer von Bürgern, die in Stuttgart gegen das geplante, 13 Mrd. Euro teure Taegabauprojekt "S 21" demonstrieren, weil dieses Bauprojekt in jeder Hinsicht von wegen des Größenwahns dem Turmbau zu Babel gleicht.
Als zweites Beispiel für diese Spezies der herrschenden Klasse nenne ich hier Peter Struck. Als er 11 Jahre lang als Minister und als SPD-Fraktionsvorsitzender noch mächtig war, gehörte er zu den wichtigsten politischen Strippenziehern und den entschiedensten Befürwortern der geplanten naturzerstörerischen, riesenflächenverbrauchenden, umwelt- und menschenfeindlichen A 39 und beschimpfte mit knarriger Stimme rüpelhaft jeden, der mit guten, sachlichen Gründen an den gesunden Menschenverstand appellierte und sich gegen diese völlig überflüssige Autobahn aussprach. Und jetzt, wo er seinen beruflichen Ruhestand genießt und Zeit findet, sein Buch "So läuft das" zu veröffentlichen, kommt er plötzlich ganz lammfromm und nachdenklich daher und erklärt am 10. September vor den versammelten Hauptstadt-Journalisten, nicht nur in Stuttgart gäbe es verständliche Bürgerproteste gegen das milliardenschwere Bahnprojekt, sondern auch in seinem ehemaligen Wahlkreis Uelzen. Auch hier gäbe es nach jahrelangen Planungen der A 39 Gegenwind, "besonders von Menschen, die in die Heide gezogen sind, um hier Ruhe zu finden". Vor Jahren hat ihn das nicht eine Sekunde auch nur interessiert. Wie man ihn kennt, fast immer kurz angebunden, erklärte er damals auch parteiintern jeden A 39-Gegner zum Fortschrittsfeind und zum politischen Deppen. So läuft das bei Politikern und Wirtschaftsbossen dieser Sorte. Nichts anderes als Charaktermasken sind das.
Und dann ist da in Sachen A 39 ja auch noch der sog. "Nordland-Autobahnverein", ein hundertprozentiger Lobbyistenklüngel von LKW-Speditionen, der IHK, der VM Transport GmbH sowie Baustoffhändlern. Nicht mehr als ein Griff zum Strohhalm ist die dieser Tage von ihm verabschiedete "Uelzener Erklärung", in der gefordert wird, die Baumittel für die A 39 jetzt im nächsten Investitionsrahmenplan der Bundesregierung zu verankern. Oder sollte man sie besser einen Appell der Angsthasen nennen? Ihre Felle sehen sie wegschwimmen angesichts dessen, dass das Bundesverkehrsministerium aufgrund der zwingend notwendigen Haushaltskonsolidierung plant, bis auf wenige Lückenschließer keine neuen Straßen mehr zu bauen. Nicht mal gebaut wie zeitlich geplant wird die Ortsumgehung von Kirchweyhe. Nach Informationen des "Handelsblatt" vom 2.8. und der "TAZ" vom 3.8. sollen die ab 2011 jährlich zur Verfügung stehenden 10 Mrd. Euro bis mindestens 2014 primär für den Erhalt der Verkehrswege investiert werden. Auch die geplante B 190n ist laut Staatssekretär Ferlemann inzwischen vom Tisch. Und die A 250 demnächst in A 39 umzutaufen, dient lediglich der psychologischen Täuschung, dass die 100 km lange "Brücke" zwischen Lüneburg und Braunschweig doch noch geschlossen werden könnte. Den Kampfhunden vom Nordland-Autobahnverein sollte deshalb verantwortungsbewußte Politik besser die Leine anlegen. So einfach, wie sie sich das denken, läuft das nämlich nicht mit der A 39. Quelle: Borvin Wulf in der Allgemeinen Zeitung