Zwei Themen beherrschten das Leserforum der Braunschweiger Zeitung am
Dienstagabend in Wolfsburg: Neben der Weddeler Schleife sorgte vor
allem der Ausbau der A 39 für hitzige Diskussionen.
Die
im Landtag vertretenen Parteien sind sich einig in der Forderung, dass
die Gleisverbindung zwischen Wolfsburg und Braunschweig, die Weddeler
Schleife, dringend ausgebaut werden muss. Sie wollen sich dafür nach der
Landtagswahl in Berlin stark machen. Der Weiterbau der A 39 nördlich
von Wolfsburg löste beim Leserforum unserer Zeitung in Wolfsburg jedoch
eine hitzige Debatte aus. Die Verkehrsexperten von CDU, SPD und FDP
wollen den circa 1,3 Milliarden Euro teuren Lückenschluss nach Lüneburg –
Linke und Grüne sowie die Vertreter von Bürgerinitiativen wetterten
dagegen.
Die Weddeler Schleife und die A 39 waren die zentralen Themen bei der
von unserem Redakteur Thomas Parr moderierten Veranstaltung im
Wolfsburger Alvar-Aalto-Kulturhaus. Die Diskussionspunkte wurden durch
Fragen und Meinungsäußerungen unserer Leser bestimmt. Als weitere Themen
lagen den Besuchern gestern die Staubekämpfung im Wolfsburger Raum und
die Verbesserung des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) in der
Region auf dem Herzen.
Die Weddeler Schleife
Gerhard Bachmann aus Flechtorf wies in der ersten Wortmeldung des Abends
darauf hin, dass viele Menschen in den Baugebieten auf dem Land lebten
und dann zur Arbeit in die Großstädte pendeln müssten. „Sie fahren nach
Wolfsburg oder Braunschweig mit der Gefahr einer Staubildung – wie kann
der ÖPNV reagieren?“, fragte Bachmann. Auch der Leser Jürgen Lambers
wies darauf hin, dass die derzeit nur eingleisige Schienenverbindung
zwischen den Städten keine Alternative zum Straßenverkehr darstelle:
„Die Weddeler Schleife ist nützlich und muss irgendwann kommen. Warum
ist sie noch nicht da?“
"Diese Züge gleichen Viehtransporten.“
Die fünf auf dem Podium vertretenen Verkehrspolitiker bekannten sich
daraufhin alle zu der Forderung, ein zweites Gleis zwischen den beiden
Städten zu verlegen. Mit nur einem Gleis könne den Passagieren nur eine
unattraktive Taktung geboten werden, sagte der SPD-Kandidat Klaus
Schneck: „Die, die die Strecke Wolfsburg-Braunschweig regelmäßig mit dem
Zug fahren, haben die Nase gestrichen voll. Diese Züge gleichen
Viehtransporten, das hat indische Dimensionen.“ Die Folge sei, dass
viele VW-Pendler und andere Fahrgäste den Zug nicht mehr als
Verkehrsmittel in Betracht zögen. Auch die CDU-Kandidatin Angelika Jahns
forderte eine Verlagerung von Verkehr von der Straße auf die Schiene.
Allerdings müsse parallel auch das Straßennetz ausgebaut werden.
Der Grüne Enno Hagenah kritisierte jedoch die in Land und Bund
regierende Union: „Es ist ein Fehler gewesen, die Weddeler Schleife
nicht noch in den vordringlichen Bedarf des Bundesverkehrswegeplans
aufzunehmen.“ Eine Landesregierung dürfe nicht untätig warten, meinte
auch die Linke Spitzenkandidatin Ursula Weisser-Roelle: „Diese Region
hat einen erheblichen Nachholbedarf. Ausnahmsweise waren sich hier Rote
und Liberale einmal einig, denn auch FDP-Kandidat Dietmar Busold sagte:
„Das ist hier der rote Faden, dass diese Region im ÖPNV benachteiligt
ist.“
Kampf um die Mittel
Die auf dem Podium vertretenen Experten räumten dem Ausbau der Weddeler
Schleife gute Chancen ein. „Es ist kein Neubau, sondern eine
Fertigstellung – die Trasse für das zweite Gleis ist schon gebaut“,
sagte Hennig Brandes, Direktor des Zweckverbandes Großraum Braunschweig
(ZGB). Das Projekt habe nun sehr gute Aussichten, so Brandes: „Es gibt
aktuelle Mobilitätsdaten, die beweisen, dass die Nachfrage hier stark
angestiegen ist.“ Der ZGB braucht das zweite Gleis auch für seine
Regiobahn 2014+ – nur dann können die Züge in enger Taktung fahren.
Hoffnung machte auch Bernd Schmidt vom niedersächsischen
Verkehrsministerium: „Die Landesregierung unterstützt die Forderung
dieser Region nach einem zweigleisigen Ausbau und hat sich an den Bund
gewandt, damit dieser den Ausbau im neuen Bundesverkehrswegeplan in den
vordringlichen Bedarf stellt.“
Björn Gryschka vom Fahrgastverband ProBahn warnte allerdings die
Landespolitiker: „Der Bundesverkehrswegeplan ist seit Jahren
unterfinanziert und wird es bleiben. Es gibt also einen Kampf um die
Mittel.“ Nur wenn sich das Land auf wenige wichtige Projekte beschränke,
hätten diese eine große Realisierungschance.
Weiterbau der A 39
„Ich finde es absolut inakzeptabel als Steuerzahler, dass die A 39
zulasten der Steuerzahler ausgebaut werden soll; somit werden nur
Symptome kaschiert“, hatte Hans Westphal aus Wolfsburg geschrieben. Auch
Bernd Krag aus Braunschweig meint: „Deutschland hat das dichteste
Autobahn- und Straßenetz Europas. Dessen Unterhalt kostet ’zig
Milliarden. Deswegen muss sorgfältig abgewogen werden, ob eine
Verlängerung der A 39 wirklich erforderlich ist.“ Und Frank-Markus
Warnecke aus Brome im Kreis Gifhorn fragte gestern Abend: „Wissen Sie,
was die A 39 für einen Flächenbedarf hat, wie viele Räume da
zerschnitten werden?“
"Schaumblasen von Lokalpolitikern"
Sowohl das Publikum als auch das Podium war in der Frage des Weiterbaus
der A 39 von Wolfsburg bis Lüneburg gestern tief gespalten. Der
mittelständische Spediteur Bernd Cichacki aus Braunschweig forderte:
„Die A 39 muss unbedingt gebaut werden!“ Sie erspare den Wolfsburgern 50
bis 60 Kilometer auf der Fahrt in den Norden und fördere die regionale
Wirtschaft.
Jahns (CDU), Schneck (SPD) und Busold (FDP) gaben dem Spediteur Recht.
Sie mussten für diese Haltung lautstarke Kritik von Eckehard Niemann von
den Bürgerinitiativen gegen die A 39 einstecken. Dieser kämpft seit
zehn Jahren gegen den A 39-Lückenschluss. Niemann führte unter anderem
eine von den Bundesländern finanzierte „Verkehrsuntersuchung Nord-Ost“
an, die die A 39 für verzichtbar erkläre. Mit der Kostensteigerung auf
1,3 Milliarden Euro sei nun auch kein akzeptabler Nutzen-Kosten-Faktor
mehr darstellbar. Niemann behauptete sogar, dass alle vorliegenden neun
Gutachten keinen positiven Effekt durch die A 39 für die Region
ausmachen konnten. Und schließlich sei für die A 39 sowieso kein Geld im
Bundesetat, sagte der A 39-Gegner und schloss mit dem Satz: „Das alles
sind Schaumblasen, die Lokalpolitikern einfallen, weil ihnen sonst
nichts einfällt.“
Behauptung, die A 39 bringe nichts, ist "grotesk"
Mit diesem Beitrag hatte Niemann Zwischenrufe aus dem Publikum und
empörte Reaktionen vom Podium provoziert. FDP-Mann Busold hielt seine
Behauptung, die A 39 bringe nichts, für grotesk: „Sie sind der erste,
der sagt, dass eine Autobahn keine Gewerbeansiedlungen mit sich bringt.“
Nur Grüne und Linke schlugen sich auf Niemanns Seite. „Wenn die A 39
ausgebaut wird, ist das Problem nicht gelöst – mehr Straße bringt auch
mehr Verkehr.
Der Verkehr muss von der Straße runter“, sagte Weisser-Rölle (Linke).
Enno Hagenah (Grüne) erinnerte an den extremen Sanierungsbedarf an den
bestehenden Straßen, der alle Haushaltsmittel schlucken werde: „Laut
Weltbank sind wir nach dem Stadtstaat Singapour das am besten mit
Infrastruktur ausgestattete Land. Wir müssen jetzt die effizientesten
Ausbauformen finden, die am wenigsten Geld kosten – und Autobahnen
kosten sehr viel Geld.“
Der Abend endete im Streit
Hennig Brandes vom ZGB warb schließlich dafür, die Weddeler Schleife
nicht gegen die A 39 auszuspielen – beide Projekte seien wichtig für die
Region. Auch Bernd Schmidt vom Verkehrsministerium wies die harsche
Kritik an dem Autobahnprojekt vehement zurück: Die A 39 wird kommen und
sie ist auch nötig, auch im europäischen Verkehr.“ Dass eine Autobahn
positive Effekte auf die wirtschaftliche Entwicklung einer Region habe,
beweise das Emsland.
Der Abend endete schließlich im Streit, aber auch mit deutlichen
Bekenntnissen der kandidierenden Landespolitiker zur beabsichtigten
Verkehrspolitik für unsere Region. Nun muss der Wähler entscheiden.
Als erster verließ Björn Gryschka vom Fahrgastverband ProBahn den Saal.
„Für mich hat die bisher nur eingleisige Weddeler Schleife eine
persönliche Auswirkung – ich muss leider um 19.45 Uhr gehen, weil dann
der letzter Zug Richtung Braunschweig fährt“, sagte er – und verschwand.
Quelle: Braunschweiger Zeitung