Freitag, 10. September 2004

Regionale Entwicklung statt Autobahngläubigkeit!

Bauern im Widerstand gegen eine „zerstörerische Nonsensautobahn“

Am 17. Januar begann unser Widerstand gegen die Autobahn A 39. In der Zeitung erschien eine Landkarte mit den Such-Korridoren der
Bezirksregierung: von Lüneburg aus zwei ca. 5 km breite Schneisen, je eine westlich und östlich quer durch die Landkreise Lüneburg, Uelzen und Gifhorn, bis nach Wolfsburg.

Vorher hatte es jahrelange Forderungen von CDU- und SPD-Politikern, Industrie und Handelskammer und auch Landvolk (Bauernverband) nach der Autobahn gegeben: die sollte angeblich die „Probleme“ unserer „rückständigen“ Landkreise lösen – durch Entwicklung, Gewerbe-Ansiedlung und Arbeitsplätze. Aber so richtig ernst hatten die meisten Bürgerinnen und Bürger dies nicht genommen, von einigen vorausschauenden A39-Gegnern und Leserbriefschreibern einmal abgesehen. Gerade deren Internetseiten, Fakten und Dokumente wurden nun plötzlich ganz wichtig: Wir brauchten schnell Informationen, in vielen Dörfern schossen Bürgerinitiativen wie Pilze aus dem Boden, gegründet auf Informations-Veranstaltungen mit 100 bis 200 Teilnehmern. Da wurde nicht nur nach dem genauen Verlauf der A39-Korridore gefragt, sondern auch nach den offiziellen und den wirklichen Gründen dieser Autobahn.

„Zerstörerische Nonsens-Autobahn“Der Anbindung Hamburgs und der Seehäfen an Südosteuropa solle sie dienen, so die offiziellen Papiere, auch der Entlastung der A 7 von Hamburg nach Hannover und der noch direkteren Anbindung des VW-Werks an die Häfen. Das klang zunächst bedenkenswert: „Die Autobahn soll an unserem Hof vorbei? Nicht gut, aber wahrscheinlich notwendig für uns und die Volkswirtschaft“ – so „einsichtig“ reagierten zunächst viele von uns.

Dann aber kamen andere Fakten und Argumente: Für die Region würde die A 39 mit ihren zwei bis drei Abfahrten nichts bringen, sondern sogar noch mehr Kaufkraft und Aufträge in die Zentren abziehen. Auch als Transitstrecke war die A 39 gar nicht nötig, das bewiesen offizielle Verkehrsuntersuchungen, die die Bürgerinitiativen aus den Schubladen der Behörden holten (www.keine-a39.de und www.lebensberg.de) Eine Auswertung der Fachhochschule Erfurt von allen Untersuchungen zu den Effekten von Autobahnbauten der letzten Jahrzehnte bewies: Kein einziges (!) Autobahnprojekt brachte – angesichts des schon engen deutschen Autobahnnetzes -
irgendwelche Wachstums- oder Arbeitsplatzeffekte. Angesichts der Globalisierung und der EU-Erweiterung gehen kostenminimierende Investoren ohnehin an die Standorte mit Billigstlöhnen und Höchstsubventionen, da spielen Transportkosten keine Rolle (die ohnehin nur noch 3 bis 6% der Produktwerte ausmachen).

Bauern: Hauptbetroffene

Für die Bauern bedeutet die A 39: verletzende Missachtung der Landwirtschaftsbelange und der Böden bei der planerischen Bewertung der „Schutzgüter“, Vernichtung von Höfen, lähmende Ungewissheit über die Betriebsentwicklungsschritte über viele Jahre, Zerschneidung und Zwangs-Flurbereinigungen, nicht ausreichende Entschädigungen erst nach vielen Jahren, fehlende Möglichkeiten für den Wiedererwerb von Flächen, in der Folge steigende Pacht- und Bodenpreise und natürlich der Verlust von Heimat und Landschaft.

Wir erwarteten ernsthafte Argumente von den eingeladenen Landtags- und Bundestagsabgeordneten und ernteten leere Spruchblasen statt der erhofften Ergebnisoffenheit der Diskussion. Offenbar dient dieses Gerede dazu, das Fehlen eigener Ideen für die Region zu kaschieren. Letztlich ist die A39 durch ein „Basta-Wort“ des Kanzlers in den Bundesverkehrswegeplan gedrückt worden, als billige
Wahlkampfmunition vor den Landtagswahlen 2002. Dafür soll in Zeiten von Forschungs- und Bildungsnotstand und von Sozialabbau eine Milliarde verschleudert werden!

Konnte man die dogmatische Autobahn-Propaganda der Abgeordneten noch mit deren Karriere-Absichten innerhalb der Pro-A39-Parteien erklären, entsetzte uns das Verhalten der meisten Lokalpolitiker total: Die kamen nicht mal zu Informationsveranstaltungen und verweigerten sich ängstlich-aggressiv den geforderten Diskussionen, selbst bei den Einwohner-Fragestunden der Gemeinderäte.

Parteien und Netzwerke sind offensichtlich seit langem auf den „Fetisch Autobahn“ und deren mächtige Lobbyisten eingeschworen, gegen die man nicht ungestraft angeht. Das merken viele unserer Bürgerinitiativen an den heftigen Ausgrenzungsversuchen innerhalb der Dörfer und an der Furcht, von bisherigen Dorfgrößen als „Extremist“ abgestempelt zu werden. Umso wichtiger sind das Werben um anerkannte Bündnispartner im Dorf und pfiffig-lustige Aktionen.

Bauern: Hauptkraft des WiderstandsEntscheidend ist auch der Zusammenhalt in den Initiativen und zwischen den bisher 30 Bürgerinitiativen, die in einem Dachverband erfolgreich gegen das „St-Florians-Prinzip“ („nicht bei uns, aber woanders“) angehen. Man lernt ganz neue Leute kennen oder Bekannte von einer ganz anderen Seite (so oder so). Und man merkt, wie wichtig die bäuerliche Seite des Widerstands ist, als Zeichen für dessen
Verwurzelung, Nachhaltigkeit und Kraft. Diese Bedeutung haben viele Zugezogene oder Städter erst bei dem 100-Trecker-Treck erkannt - das Bild von Bauern und der Bedeutung der Landwirtschaft hat dies sehr nachhaltig geprägt.

Zentral wichtig ist eine eigenständige regionale Entwicklung und Perspektive als Gegengewicht zu den gängigen (falschen und schädlichen) Autobahn-Argumenten:
in unserem Fall der Ausbau unserer modernen und selbstbewussten Agrar- und Ernährungswirtschaft und unserer Chancen im sanften Tourismus. Die aber kann man nur fördern durch eine gezielte Entwicklung von praxisnahen Forschungs- und Vernetzungsstrukturen, durch ein landschaftlich- angenehmes und lebendig-quirliges kulturelles Umfeld, in dem neue Ideen und innovative „Querdenkerei“ gedeihen. Und dem dient auch der von uns geforderte bedarfsgerechte Ausbau der Bundesstraßen mit Ortsumgehungen und Lärmschutz.

„Regionale Entwicklung statt Autobahn-Gläubigkeit“ – dieses Motto prangte denn auch auf dem ersten Trecker des Trecker-Trecks. Unsere wachsende und kreative Vernetzung im Widerstand dient auch auf diesem Wege unserer Region. Wir sind sicher, dass wir die A 39 verhindern werden: wegen der Konkurrenz der Verkehrsprojekte um die immer knapperen Mittel im unterfinanzierten Bundesverkehrswegeplan, juristisch (durch einen Klagefonds für alle Landwirte) – und vor allem politisch durch Wählerabwanderung. Bei den Europawahlen wählten ganze Gemeinden die A39-Parteien in die Minderheitsposition. Die ersten Bundestags-Abgeordneten der CDU rücken bereits öffentlich von der A 39 ab. Und dabei haben wir gerade erst angefangen...

Eckehard Niemann, derzeit Sprecher des Dachverbands der Bürgerinitiativen gegen die A 39